Zum Titel
Der Roman „Dienstag“ von Dierk Wolters wurde 2023 im Axel Dielmann - Verlag veröffentlicht. Das Buch ist ein Hardcover und umfasst 199 Seiten. Es trägt ein Lesebändchen.
Zum Inhalt
Wir erleben irgendeinen Dienstag in einer ganz normalen Familie. Doch hinter dem friedlichen Schein blicken wir auf die persönlichen Tragödien der Familienmitglieder, kleine wie große.
Edmund, der Vater, leitet das Familienunternehmen nicht mit der selbstverständlichen Sicherheit, wie sein Vater Hartmut noch vor Jahren. Zudem hat er sich auf eine Affäre mit seiner Sekretärin Eva eingelassen und fühlt sich in einer Zwickmühle gefangen. Hartmut wohnt im Pflegeheim, sein Leben erscheint ihm nicht mehr lebenswert. Einzig die Enkelkinder sind ihm eine große Freude, besuchen ihn allerdings selten. Doch dienstags kommt immer seine Schwiegertochter und er hofft, Florian und Amelie mal wieder zu sehen. Florian will allerdings viel lieber ins Schwimmbad, er muss dringend mit seinem besten Freund reden. Bei dem Oberstufenschüler läuft grade einfach alles aus dem Ruder. Seine kleine Schwester Amelie ist immer dienstags beim Reitunterricht und wünscht sich, ihrem Vater endlich einmal Kunststücke vorführen zu können, doch der hat ja nie Zeit. Und Opa kommt sowieso nicht, obwohl er es versprochen hat, aber seit er im Heim liegt… Mutter Anne versucht, alles irgendwie am Laufen zu halten, die Termine und Besorgungen zu koordinieren und für das seelische Gleichgewicht aller zu sorgen. Doch die Lehrerin hat an diesem Tag auch ihr Päckchen zu tragen und je mehr dieser schicksalhafte Dienstag voranschreitet, umso mehr spitzen sich die Ereignisse zu.
Rezension
Ich war bereits nach wenigen Sätzen mittendrin im Buch, das um 5:52 Uhr im Pflegeheim mit Hartmut beginnt. Ähnlich einem Tagebuch springt der Roman von einer Figur zur nächsten, erzählt wird persönlich, in individueller Sprache und Klangfarbe. Wo die junge Amelie quengelig und verzweifelt klingt, sind Edmunds Abschnitte nachdenklich und verunsichert, Annes atemlos und gehetzt. Keine Perspektive dauert länger als ein paar Seiten, manchmal nur wenige Sätze, immer mit der aktuellen Uhrzeit und Name des Charakters vorangehend. Man findet sich problemlos in Zeit und Raum zurecht, und versteht die Zusammenhänge, denn um die geht es maßgeblich.
Wie in einem Familiengefüge alles voneinander abhängt und ein falsches Wort die Stimmung des ganzen Tages kippen kann, das versteht Dierk Wolters anschaulich darzustellen. Was Edmund durch den Kopf geht, weil er fürchtet, sowohl privat als auch geschäftlich falsche Entscheidungen zu treffen, wie zerrissen Anne als Organisatorin ist, wie deprimierend Hartmuts Situation am Lebensende ist und was ein Pubertierender Junge im Laufe eines Tages alles durchleiden muss, wir sind überall dabei, erleben alles mit, empfinden alles durch die emotionsbetonte Erzählart nach. Sogar, was in Eva, der Sekretärin, vorgeht, bleibt uns nicht verborgen.
Am meisten beeindruckt hat mich als Mutter einer Grundschülerin jedoch der Blick in Amelies Kopf. An die Teenagerzeit kann man sich so im Allgemeinen noch vage erinnern und sich in die Situationen der Erwachsenen hineinzuversetzen ist empathischen Menschen gut möglich. Aber es ist etwas anderes, ein kleines Mädchen, für das es die absolute Katastrophe ist, dass es keine neue Pferdebürste gekauft bekommt, so sprechen zu lassen, dass es einem absolut logisch und klar erscheint.
Die intimen Einblicke sind authentisch, das sage ich als Teil einer 5-köpfigen Familie. Vieles macht nachdenklich, wenn die Situationen im Laufe eines Tages, bis zu dessen „Ende“ um 20:06 Uhr, aus unterschiedlicher Sicht gespiegelt wird. Das Unverständnis für Reaktionen und das Handeln anderer Familienmitglieder ist auch bei uns an der Tagesordnung.
„Dienstag“ ist ein etwas anderer Familienroman, ein Weckruf vielleicht, ein Hinweis, die Menschen, mit denen man so eng zusammenlebt, genau wahrzunehmen und seine Perspektive gelegentlich zu wechseln, für mehr Verständnis und einen Alltag, den jeder und jede ein kleines Stück mitgestalten kann und sich aufgefangen fühlt.
Einen Kritikpunkt habe ich bei aller inhaltlichen Begeisterung jedoch: Das Cover. Es sagt nichts aus. Ich bin absoluter Coverkäufer und hätte den Roman vermutlich nicht aufgrund der Optik in die Hand genommen. Ein so außergewöhnlicher Roman sollte mehr ins Auge fallen und neugierig machen, denn es lohnt sich!
Zum Verlag
Der Axel Dielmann – Verlag wurde 1993 in Frankfurt am Main gegründet. Das literarische Programm machen überwiegend Romane und Lyrik aus, auch Essays werden im Verlag veröffentlicht. Durchschnittlich um die 20 Werke erscheinen jedes Jahr, zumeist von deutschsprachigen Autorinnen und Autoren.
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