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Authentisch – Sensibel – Intensiv

  • Autorenbild: Julia Moldenhauer
    Julia Moldenhauer
  • 19. März
  • 3 Min. Lesezeit


Zum Titel

 

Der Roman „Tiohtiá:ke“ von Michel Jean wurde erstmals 2021 in Kanada veröffentlicht. Die deutsche Ausgabe erschien 2023 im Wieser Verlag, übersetzt aus dem Québec-Französisch von Michael von Killisch-Horn.

Das Buch umfasst 194 Seiten, trägt einen Schutzumschlag und ein Lesebändchen.

Mein Exemplar ist vom Autor persönlich signiert, ich lernte ihn bei einer Lesung vor einem Jahr kennen.

 

 

Zum Inhalt

 

Tiohtiá:ke ist der Name Montreals in der Sprache der Innu, einer indigenen Nation im Südosten Kanadas. Der junge Élie wird aus seiner Gemeinde Nutashkuan verbannt, als er schuldig am Tod seines Vaters gesprochen wird. 10 Jahre später aus dem Gefängnis entlassen und ohne Chance auf Vergebung seines Heimatdorfes führt ihn sein Weg nach Montréal, wo er auf den Straßen eine neue Gemeinschaft findet. Doch er selbst kann sich seine Schuld nicht vergeben.

 

 

Rezension

 

Es ist ein dünnes Buch, keine 200 Seiten umfasst es und die Kapitel sind kurz, ich würde es als leicht lesbar einstufen. Und doch laden Inhalt, Sprache und Klang dazu ein, sich Zeit zu nehmen, Élie, Geronimo, die Inuit-Schwestern und Lisbeth kennenzulernen. Und man kommt nicht umhin, sich über den Autor, sein Leben und die Vergangenheit Kanadas zu informieren. Es gibt nicht viele bekannte indigene Autorinnen oder Autoren (mir fiel spontan EINE ein!) die Own-Voice-Bücher schreiben und das ist eine ganz seltene Perspektive, ein authentischer Einblick in die Lebensweise dieser Nationen und ihren heutigen Platz in der Gesellschaft Kanadas und Nordamerikas.

In Tiohtiá:ke werden die Angehörigen der indigenen Gemeinschaften als „Autochtone“ bezeichnet, was so viel bedeutet wie Eingeborene oder Einheimische. Auch die Begriffe „Première Nations“, bzw „First nations“ fallen. Diese Bezeichnungen sagen, um was und wen es sich bei diesen Menschen handelt, nämlich die, die vor den Einwanderern – im Falle Québecs vor den Franzosen – da waren und denen das Land und ihre Selbstbestimmung genommen wurde. Michel Jean hat vor Tiohtiá:ke bereits acht Romane geschrieben, in denen er die Geschichte der Innu und anderer Urvölker thematisiert. Tatsachen, die auch seine Vorfahren und Angehörige betrafen – und betreffen. Er nimmt Bezug auf die Folgen von Kolonialisierung, Missionierung, sprachlicher Umerziehung, Umsiedelung, erzwungener Sesshaftigkeit und dem Verlust der Lebensgrundlage, klärt über die Hintergründe von Alkoholsucht und Gewalttätigkeit auf. So wird Vieles deutlicher, wenn man seine Bücher liest oder ihm bei Lesungen zuhört.

Michel Jean studierte Geschichte und arbeitet seit nunmehr 40 Jahren als Journalist. Er ist Nachrichtensprecher und tritt als einziger Autochtoner als solcher im Fernsehen auf. Täglich sieht er anhand der Berichterstattung, wie die Beiträge in den Medien gewichtet werden und wie wenig Wert auf Nachrichten zu Gewaltverbrechen an Obdachlosen Indigenen gelegt wird. Mit seinen Büchern rückt er dieses gerne vernachlässigte Kapitel der kanadischen Geschichte in den Focus. In diesem kleinen, feinen Roman gibt er diesen Menschen ein Gesicht, eine Stimme, eine Geschichte. Eine Vergangenheit und vielleicht sogar eine Zukunft. Die Charaktere sind prägnant und die Erzählweise intensiv, wir gehen Élies Weg mit ihm und erleben seine Verzweiflung, aber auch seine Hoffnung.

 

Das Buch, die Geschichte, der Autor, das alles hat mich sehr beeindruckt. Eine seltene Stimme, ein wichtiges Thema, so wunderbar zart und nah erzählt, eine große Leseempfehlung für Tiohtiá:ke und alle anderen Bücher von Michel Jean. Und solltet ihr die Möglichkeit haben, ihn bei einer Lesung zu hören, lasst euch das nicht entgehen.

 

 

Zum Verlag

 

Der Wieser Verlag ist ein unabhängiger österreichischer Verlag. Er wurde 1987 gegründet und hat seinen Sitz in Klagenfurth. Zum größten Teil wird Belletristik aus dem ost- und südosteuropäischen Raum veröffentlicht. Auch Lyrik, Sachbücher und Essays gehören zum Programm.

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