Zum Titel
Der autobiografische Roman „Die sonderbare Insel der Entschwebten“ von Giacomo A. De Bastiani wurde 2016 erstmals in Italien unter dem Titel "L'Aiuto Becchino" veröffentlicht. 2021 erschien im Verlag Stroux Edition die Übersetzung aus dem Italienisch von Volker Brache. Das Buch umfasst 231 Seiten und wurde von Maya Boll illustriert.
Das Buch habe ich im Frühjahr bei weiter:lesen von der Verlegerin empfohlen bekommen und direkt gekauft.
Zum Inhalt
Giacomo A. De Bastiani wird 1959 in der Toskana geboren. Seine Kindheit und sein Heranwachsen unterscheiden sich sehr von dem anderer Kinder, denn die Familie um Nonna Aurelia, Babba Remo und Mamma Bianca lebt in einem Haus auf dem Friedhof. Giacomo nimmt die soziale Isolation - nicht einmal der Briefträger kommt bis zur Haustür - wahr, als sei das Heim eine Insel. Leben und Sterben liegt für die Familie, die seit Generationen mit der Verwaltung des Friedhofes betraut ist, dicht beieinander. In einer Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs sucht Giacomo nach einem Kompass für sein Leben. Diese wahre Geschichte wurde in Italien schon mehrfach unter De Bastianis Leitung als Theaterperformance aufgeführt, unter anderem auch auf seiner „Insel“, dem Friedhof seiner Kindheit.
Rezension
Dieses Buch ist absolut außergewöhnlich, eine Geschichte, die noch nicht erzählt wurde, so einzigartig, wie es das Erwachsenwerden des Autors war. Wo ihn die Erinnerungen im Stich gelassen haben, lässt er eine Art kindliche Fantasie einfließen, mystisches Denken, Aberglaube und Träumereien machen diese Biografie dann eben doch irgendwie zu einem Roman, der ein bisschen skurril erscheint.
Mit dem Thema Lebensende - in all seinen Facetten - wird sehr respektvoll umgegangen, aber auch feinsinniger Humor kommt nicht zu kurz. Die Verstorbenen heißen Bewohner oder, wie im Titel, Entschwebte. Eine besondere Stimmung schafft hier die Sprache, ruhig und sanft, empathisch. Wie Giacomo als jüngstes Familienmitglied den verschiedenen Arten des Todes begegnet, wie er dem Vater bei der Vorbereitung der Verstorbenen für die Beisetzung zur Hand geht, auf was dabei zu achten ist und was ihn daran berührt und ängstigt.
Melancholisch klingt es, wenn er sich an die Hürden erinnert, die es aufgrund des besonderen Berufs des Vaters und vor allem wegen des Wohnortes der Familie hinsichtlich Gleichaltriger zu überwinden galt. Giacomo ist herzlich und hat ein treues, aufrichtiges Wesen und wir erleben seine Enttäuschung über die offenkundige Ablehnung der Dorfgemeinschaft seiner Familie gegenüber hautnah, ohne, dass es direkt bezeichnet wird. Als Totengräber genießt man hohes Ansehen, doch befreundet sein oder gar in die Familie einheiraten.. undenkbar.
Wir lernen alle Personen, die eine Rolle spielen – es sind gar nicht so viele – gut kennen, denn sie werden so wunderbar plastisch beschrieben mit ihren kleinen Charakteristika. Und wir können uns vorstellen, wie es war im Italien der 60er/70er Jahre, zur Zeit des Wirtschaftswachstums mit seinen technologischen Errungenschaften.
Besonders hervorzuheben sind die beeindruckend atmosphärischen Illustrationen, die sich in diese herzerwärmende, unschuldige Geschichte vom Erwachsenwerden einfügen, düster und anmutig, traurig und schön zugleich.
Danke Frau Stroux für diese Empfehlung an ihrem Stand in Leipzig im März! Ohne Sie hätte ich dieses tolle Buch übersehen.
Zum Verlag Der Verlag Stroux Edition wurde 2015 gegründet und hat seinen Sitz in München. Namensgeberin ist Anette Stroux, die seit 2017 Bücher mit dem Schwerpunkt „Biographische Belletristik“ veröffentlicht. Zunehmend interessieren sich LeserInnen für wahre Geschichten, für biografisch Gefärbtes und Erinnertes in Romanen. Das Lesen der Manuskripte muss spannend sein, gibt es hier doch so viele besondere Persönlichkeiten und historische Momente zu entdecken, die erzählt werden wollen, der kleine Verlag veröffentlich pro Halbjahr jedoch lediglich 3 oder 4 Bücher.
Die hauptsächlich europäischen AutorInnen kommen aus Deutschland, Island, Frankreich, Italien und Norwegen, geplant ist, bald auch Publikationen aus Kroatien ins Programm aufzunehmen, sowie über jüdisches Leben in Deutschland.
Kein Buch der Stroux Edition gleicht dem Andern, sie sind Einzelstücke, so wie keine Biografie einer anderen gleicht.
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