Zum Titel
Der Roman „Ferymont“ von Lorena Simmel wurde im Februar 2024 im Verbrecher Verlag veröffentlicht.
Das Buch umfasst 174 Seiten und ist ein Hardcover ohne Schutzumschlag.
Zum Inhalt
Anders als die meisten anderen Saisonarbeiter im kleinen ausgedachten Schweizer Ort Ferymont kommt die namenlose Ich-Erzählerin nicht aus Osteuropa. Sie studiert in Berlin Literaturwissenschaft und möchte sich etwas dazuverdienen. Sie kennt die Gegend und wohnt bei ihrer Tante. Bei der Arbeit auf den Höfen lernt sie Arbeiterinnen und Arbeiter kennen, zu denen sich zarte Freundschaften entwickeln, sie wird in ihre Gemeinschaft aufgenommen und lernt eine unbekannte Seite ihrer Heimat kennen.
Rezension
Lorena Simmel hat eine Geschichte geschrieben, in der alles drin ist – allerdings wird auf den 174 Seiten auch kein Wort zu viel gesagt. Über alles, was passiert und über die Figuren weiß ich als Leserin nicht mehr als die Ich-Erzählerin, nein, eigentlich weiß ich sogar weniger, denn sie selbst ist recht verschlossen, was ihre persönliche Situation angeht, wie sie lebt, was das Verhältnis zu ihren Eltern angeht, ich erfahre kaum Details und Hintergründe. Genauso verhält es sich mit den weiteren Figuren, die sich alle nicht in den Vordergrund drängen, die sehr still an der Handlung teilnehmen und nicht mehr von sich preisgeben, als sie müssen.
Diese Zurückhaltung und die generelle unaufgeregte Gleichmäßigkeit, sorgen dafür, dass sich das Buch sehr angenehm lesen lässt. Es geht ganz ruhig seinen Weg, von vornherein ist klar, dass es eine Saison umfasst und mit diesem begrenzten Zeitraum lässt sich gut umgehen. Tag für Tag, Woche für Woche gehe ich mit auf Erdbeerfelder oder Tabakplantagen und ja, ich war mit dabei. In den Gewächstunneln, auf dem Feld, in den Hühnerställen und am Fließband. Und ich war gern dabei, wenn die Geschichte auch traurige Seiten hat.
Lorena Simmel hat etwas Bewundernswertes geschafft. „Ferymont“ wirft durchaus einen kritischen Blick auf die Saisonarbeit und ihre Arbeitsbedingungen. Daria und die Erzählerin sind im selben Alter, leben aber völlig verschiedene Leben, auf der einen Seite Studium und Saisonjob, um die eigene Ausbildung zu finanzieren, auf der anderen Seite eine frühe Schwangerschaft, keine Berufsausbildung und den Saisonjob weit weg von zu Hause, um den Lebensunterhalt zu sichern. Überwiegend habe ich es allerdings als ein schönes, berührendes Buch wahrgenommen, das ist das Gefühl, was nach der letzten Seite zurückgeblieben ist. Es geht um Zusammenhalt und Freundschaft und auch um freundliche, wenn auch teils hilflose Landwirte. Es geht um die Schönheit der Natur und das Gefühl von Freiheit, unter freiem Himmel mit den eigenen Händen zu Arbeiten. Die Autorin lässt es nicht als den schlimmsten Job der Welt dastehen, sondern als etwas, womit sich viele Menschen arrangiert haben und das manchmal sogar Spaß macht. Die Menschen aus Ost- und Mitteleuropa, die vorwiegend als Saisonarbeiter arbeiten, charakterisiert die Autorin mit viel Herz.
„Ferymont“ kommt ohne Panorama der Landschaft über 200 Seiten und differenzierte Psychogramme der Figuren aus, es sind die kleinen Ausschnitte, Anekdoten und kurze Dialoge, die völlig ausreichen, um mir ein Gesamtbild zu vermitteln.
Perspektivwechsel lohnen sich immer, sie erweitern den Horizont und abwechslungsreich ist es auch, mal aus seinem Alltag in ganz unterschiedliche Lebensrealitäten Einblick zu erhalten.
Ob das Buch autobiografische Begebenheiten enthält, kann ich nur vermuten. Zumindest stimmen einige kleine Details zwischen Autorin und Ich-Erzählerin überein.
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