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  • AutorenbildJulia Moldenhauer

Abgründig - Bedrückend - Moralisch



Zum Titel


Der Roman „Taormina“ von Yves Ravey erschien erstmals 2022 unter dem Titel „Taormine“. Die von Holger Fock und Sabine Müller aus dem Französischen übersetzte deutsche Ausgabe erschien 2023 im Liebeskind Verlag. Das gebundene Buch umfasst 112 Seiten.



Zum Inhalt


Luisa und Melvil machen Urlaub in Sizilien. Ihre Beziehung hängt an einem seidenen Faden und der Urlaub soll nun alles wieder in Ordnung bringen. Noch auf dem Weg zum Hotel machen sie einen Umweg, um einen Blick auf das Meer zu erhaschen, dieser ist jedoch eine einzige Baustelle. Während der Weiterfahrt mit ihrem Mietwagen setzt starker Regen ein, als sie plötzlich einen Aufprall spüren, aber draußen nichts erkennen können. Wahrscheinlich ein streunender Hund. Erst aus der Zeitung erfährt das Pärchen am nächsten Tag, dass es sich um ein Kind handelte. Aber dieser Urlaub sollte doch gelingen, nun ist es doch auch zu spät und es war ja keine Absicht. Was nun zu tun ist, ist die Spuren zu beseitigen. In der Werkstatt zählt man allerdings schnell eins und eins zusammen.


Rezension


Bereits auf den ersten Seiten hatte mich der Schreibstil ganz und gar für sich gewonnen, die kurzen, prägnanten Sätze und die Nüchternheit lassen die Seiten nur so dahinfliegen. Der Roman behält seinen Stil und sein Tempo durchgehend bei und trotz der Kürze ist erstaunlich viel Handlung enthalten. Diese zu reflektieren, die Charaktere zu analysieren und sich mich ethischen Grundsatzfragen auseinanderzusetzen, dafür hätte es vielleicht Raum gegeben, allerdings bietet sich dafür keine Fläche. Was richtig und was falsch ist, das weiß ich als Leserin, doch es spielt keine Rolle.

In dieser an den klassischen Noir-Roman angelehnten Geschichte geht es nicht um Verantwortung und Schuld, Yves Raveys Figuren bringt nicht der Tod eines Kindes aus der Ruhe, sondern, dass ihr Plan gestört wird. Luisa, die über das Fortbestehen oder Scheitern der Beziehung zu richten vermag und Melvil, der klare Vorstellungen von den paar Tagen auf Sizilien hat (nämlich Luisas touristische Freizeitplanung ohne Störungen durchzuziehen) ignorieren und verleugnen ohne große Mühe.

Der Erzählfluss des Buches lässt schnell tief blicken, vor allem in Melvils Denkmuster. Unerwartbarkeiten, die ihn vom ursprünglich Geplanten abbringen, sind nicht gern gesehen und verunsichern ihn, zumal ja die Ehe auf dem Spiel steht. Empathielos, ohne ethische und moralische Bedenken gilt es also, alles zum Guten zu wenden – für sich! Einzig Luisa wirft gelegentlich Bedenken ein, doch eher halbherzig, auch sie will keinen verdorbenen Urlaub riskieren, ganz zu schweigen von einer Verhaftung. Und auch weitere Personen haben keine Skrupel.

Ich fand es meisterhaft, wie die Gewissenlosigkeit, Naivität und Gefühllosigkeit sich durch den Roman zieht und ein Verbrechen scheinbar keines mehr ist, vielmehr ein Störfaktor. Das Ende erwartet man gespannt – fiebert man mit oder hofft man, dass sie auffliegen? Ein Gefühl von Ungerechtigkeit bleibt, mich persönlich ließ es bedrückt zurück, da die Geschichte genau so passiert sein könnte. Die Kürze, die Sprache, der Satzbau, die Charakterzeichnung und Darstellung dieser bitterbösen Geschichte machen „Taormina“ für mich zu einer überzeugenden und anspruchsvollen Lektüre mit angenehmem Noir-Gefühl.



Zum Verlag


Der Liebeskind Verlag ist ein unabhängiger Verlag mit Sitz in München. Gegründet wurde er im Jahr 2000 und ist aus einer Sortimentsbuchhandlung heraus entstanden.

Unter den 8 – 10 Publikationen pro Jahr finden sich ausschließlich literarische Titel, Belletristik, Essays oder Kriminalromane, auch Klassiker sind dabei.

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