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  • AutorenbildJulia Moldenhauer

Schwerelos - Einsam - Melancholisch



Zum Titel

 

Der Roman „Nach den Fähren“ von Thea Mengeler wurde im Februar 2024 im Wallstein Verlag veröffentlicht. Das Buch umfasst 172 Seiten, ist ein Hardcover und trägt einen Schutzumschlag.

 

 

Zum Inhalt

 

Auf einer kleinen, nicht genau verorteten Insel lebt eine überschaubare Anzahl Bewohner. Sie blieben übrig, nachdem innerhalb kurzer Zeit weniger, dann schlagartige gar keine Fähre mehr den Hafen anlief. Und nicht nur, dass keine Gäste mehr kamen, auch Güter aller Art erreichten das Eiland nicht mehr, Kaffee, Getreide, Medikamente, man muss nun sehen, wie man zurechtkommt. Mit all dem können sich die wenigen Menschen arrangieren, nicht jedoch mit dem Stillstand, der über sie hereinbrach. Da taucht plötzlich ein Kind auf der Insel auf, ein Mädchen. Dies setzt eine Kette von Begegnungen in Gang und es kommt Bewegung in die kleine Gemeinde.

 

 

Rezension

 

Wie liebe ich solche Bücher, in die man etwas mitbringen muss. Bei denen man keine Geschichte zu erwarten hat, die erzählt wird und die man nach der letzten Seite zu kennen glaubt. Was ich mir vorstelle, kann etwas ganz anderes sein, als das, was du dir vorstellst.

Thea Mengeler benennt nicht einmal die Insel, auf der wir uns befinden. Ich würde sie zwar im Süden vermuten, aber ich fahre immer in den Norden in den Urlaub und somit stellte ich mir nun mal eine touristisch erschlossene Ostseeinsel (da nichts auf Gezeiten hindeutet) vor. Ist auch völlig unerheblich, wo der Urlaubsort genau liegt. Total schön ist, dass auf der allerletzten Seite des Buches eine Karte der Insel zu finden ist.

In kurzen Kapiteln mit prägnanten, sich wiederholenden Überschriften machen wir uns also auf den Weg und lernen in der „Villa“ die Frau des Generals kennen, die wünschte, sie wäre an Bord einer der letzten Fähren gewesen. Der General, mit dem sie nie eine harmonische Ehe führte, fällt zunehmend der Demenz anheim und längst hegt sie kein einziges gutes Gefühl mehr für ihn. Im immergleichen Trott droht sie, vollends zu verzweifeln. Der Hausmeister pflegt das Hotel „Sommerpalast“ nach wie vor, als würden die Gäste bald zurückkehren, alles soll aufrechterhalten werden. Das Wasser aus dem Pool abzulassen, bringt er nicht übers Herz. Als er bei der Reinigung der Zimmer – täglich nimmt er sich zwei davon gründlich vor – ein Mädchen vorfindet, ist er sich nicht sicher, ob er sie sich vielleicht nur einbildet. Und auch ich als Leserin kann es nicht einordnen. Nach und nach freunden sich Ada und der Hausmeister an, bis sie eines Tages so plötzlich verschwindet, wie sie gekommen ist. Er kann sich nicht damit abfinden, denn diese Begegnung hat ihn nachdenklich gemacht. Plötzlich sieht er nicht mehr nur zurück, er kann nicht anders als nach vorne zu sehen. Mit einer Rückkehr der Fähren ist nicht zu rechnen.

Wo jeder auf der Insel bisher seiner Aufgabe einfach routiniert weiter nachgegangen ist, stellt nun der Hausmeister mit seiner Fragerei nach einem angeblichen Mädchen alle Gewohnheiten auf den Kopf. Die Bewohner treten wieder in Kontakt miteinander, als wachten sie aus einem Dornröschenschlaf auf und hinterfragen ihr Tun, ihre Anwesenheit – und ihre Zukunft. Fangen wieder an, zu leben.

Der Hafenwärter, die Doktorin, die Bäckerin, der Barmann, die Professorin. Der Hausmeister, der General, die Frau des Generals. Keiner hat einen Namen, sie definieren sich über die Aufgaben, die sie zu erfüllen gewohnt waren. Allein Ada trägt einen Namen, der im türkischen „Insel“ bedeutet. Doch wofür steht Ada? Eindeutig bringt sie einen Neuanfang, bringt Hoffnung, zunächst dem Hausmeister, doch der streut diese Hoffnung auf der ganzen Insel aus.

Vieles bleibt in diesem Roman im Unklaren. Ich habe selbst einige Interprationsansätze, damit bin ich jedoch bisher nicht zu einem Ende gekommen und werde sie euch auch nicht mitteilen. Wie gesagt ist es eins der Bücher, in die man selbst etwas mitbringt und in denen jeder seine eigene Weisheit und Bedeutung finden kann. Die Autorin geht nicht auf den Grund ein, weshalb die Fähren ausblieben. Der Entfall der Versorgung mit Gütern aller Art erscheint alternativlos und wird hingenommen. Dies sehe ich als eine der größten Stärken des Romans, dass er nicht auflösen möchte, nicht die Umstände konkretisiert. Und so vage alles bleibt, so viel kann ich als Leserin und Leser in diesem kurzen Buch finden, das – wie eine Insel – zu allen Seiten offen scheint, wo ich nicht auf den ersten Blick sehe, wo das nächste Ufer ist und was dort wartet.

Thea Mengeler hat mit prägnanten Sätzen die Figuren und ihr aufgewühltes Innenleben skizziert und das ist so herzzerreißend und melancholisch zu lesen, die Gefühle dieser Menschen kommen mir dabei so nah, als säße ich selbst dort im Nirgendwo, in einer Art Schwerelosigkeit, in der Trostlosigkeit eines abwartenden Alltags, bis Ada diesen Nebelschleier weggewischt hat. Sagte ich schon, wie sehr ich Melancholie in Büchern liebe?

So aufgeräumt und ruhig erzählt mit dem Blick auf das Wesentliche empfinde ich dieses Romandebüt als großartige schriftstellerische Leistung.


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