Zum Titel
Die Graphic Novel „Bartleby, der Schreiber - Eine Geschichte aus der Wallstreet“ erschien 2022 im Splitter Verlag. Autor und Zeichner ist der Illustrator José-Luis Munuera. Die Erzählung “Bartleby, the Scrivener“ von Herman Melville wurde 1853 erstveröffentlicht. Erstmals in dieser Form veröffentlicht wurde das Buch 2021 in Frankreich unter dem Titel "BARTLEBY LE SCRIBE“. Für die deutsche Ausgabe wurden die Texte von Tanja Krämling übersetzt.
Das großformatige Buch umfasst 71 mehrfarbig illustrierte Seiten, sowie ein Vor- und Nachwort.
Das Exemplar wurde mir vom Splitterverlag zur Verfügung gestellt.
Zum Inhalt In einer strukturiert geführten Kanzlei ist die Arbeit kaum noch zu schaffen, daher beantragt der Notar zu seinen zwei Schreibern Turkey und Nippers und dem Laufburschen Ginger Nut weitere Unterstützung. Es stellt sich ein stiller, junger Mann vor, der sich als außerordentlich fleißiger Schreiber herausstellt. Von seinem Pult aus blickt er auf eine Mauer, das mache ihm nichts aus, sagt er. Als der Notar eine Überprüfung der angefertigten Kopien anordnet - eine gängige Praxis - verweigert Bartleby dies mit den Worten "Ich möchte lieber nicht". Zunächst ist sein Vorgesetzter irritiert, dann hilflos und schließlich wütend. Doch bei dieser einen merkwürdigen Sache bleibt es nicht... Rezension Es gibt bei einer Graphic Novel mehr zu besprechen als bei einem nicht-illustrierten Buch. Ich beginne mit der Geschichte, die ich tatsächlich bislang nicht kannte. Es ist ohnehin ein kurzer Roman, eine Novelle oder Erzählung per definitionem, und so hatte ich nicht den Eindruck, dass mir Informationen fehlen würden, um mir aus dem wenigen Text einen Reim auf die Handlung zu machen. Bartleby hat kein zu Hause, keine Familie oder gar Freunde, er hat nur die Arbeit und die erledigt er gewissenhaft und zuverlässig, mit Blick auf eine Backsteinmauer, gleich einem Gefängnis. Doch manches widerstrebt ihm und ohne sich zu erklären, lehnt er dies höflich ab. Sein Vorgesetzter möchte ihn verstehen, er hat Mitleid mit ihm und so ging es mir auch. In mehreren Zwischensequenzen spricht der Notar auf der Straße mit einem Kollegen über das Dilemma, der empfiehlt, sich diese Arbeitsverweigerung nicht gefallen zu lassen. Was hätte ich getan, fragte ich mich unweigerlich.
Letztendlich macht einen die Dramatik um den jungen Schreiber sehr nachdenklich, wohl auch, weil der wenige Text sehr pointiert ist und dazwischen viel Platz für eigene Interpretationen lässt. Ein großartiger Anti-Gesellschaftsroman, der den Trott der Arbeitswelt und die zumeist seit der Kindheit festgelegten Rollen ohne Rücksicht auf Glück, Zufriedenheit oder Entscheidungsfreiheit zu einer Zeit zum Thema machte, als niemand sich Gedanken über Work-Life-Balance machte. Nun möchte ich etwas zu den Bildern sagen, die bei dieser Literaturform den nicht abgebildeten Text wiedergeben müssen und das ist José-Luis Munuera meisterhaft gelungen. Er erweckt mit seinen Zeichnungen Emotionen, erzählt in einem Bild etwas, wofür man mit Worten ganze Seiten füllen könnte. Die tristen Sepiatöne unterstützen die Wirkung der wunderbar sanften Grafiken und erzeugen eine Atmosphäre der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Ein trauriges Buch. Und absolut aktuell. Das Vorwort von Philippe Delerm und das Nachwort von Álex Romero sind eine hochwertige Ergänzung, die das Gelesene eingerahmt und mir wertvolle Denkansätze geboten haben. Für genau diese Geschichte ist in meinen Augen die Form der Graphic Novel perfekt. Ich suche, was Klassiker angeht, immer besonders schöne und schmuckvolle Ausgaben. Auf Deutsch gibt es von diesem Werk keine Schönere. Zum Verlag Der Splitterverlag ist ein ganz besonderer Verlag. Ja gut, andere Verlage bieten ihre Werke oft auch in ausschließlich einer Form an.
Seit 2006 druckt der Splitter Verlag in Deutschland (ich werde nicht müde, das zu betonen) amerikanische und europäische Comics und Graphic Novels der unterschiedlichsten Genres. Bei der Durchsicht des halbjährlich veröffentlichten, um die 160-seitigen Katalogs gibt es eine Vielfalt an Themen, AutorInnen und Zeichenstilen zu entdecken. Zu finden sind hier beispielsweise auch unter dem Imprint Toonfish „Die Schlümpfe“ und „Es war einmal das Leben“.
Das Comicgenre ist riesig und Splitter mit seinen Büchern in dieser Qualität erfolgreich bei Jung und Alt. Aus zunächst zwei monatlichen Novitäten sind mittlerweile 15 geworden. Zusätzlich ist Splitter Mitherausgeber des Online-Comicmagazins Comic.de. Ein Blick lohnt sich, auch für Leser konventioneller Bücher!
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