Aufschlussreich – Spannend – Historisch
- Julia Moldenhauer

- 10. Juli
- 4 Min. Lesezeit

Zum Titel
Die Biografie „Victor Hugo – Jahrhundertmensch“ von Walburga Hülk erschien im Juni 2025 im Verlag Matthes & Seitz. Das Buch umfasst insgesamt 500 Seiten mit zahlreichen Abbildungen und Fotografien. 52 Seiten nehmen die Quellenangaben am Ende ein.
Es handelt sich um ein Hardcover mit hochwertigem Schutzumschlag.
Zum Inhalt
Wenn man an die Kathedrale Notre Dame in Paris denkt, denkt man auch an Victor Hugo, der seit seinem Roman „Der Glöckner von Notre Dame“ (Originaltitel „Notre Dame de Paris“) untrennbar mit dem Bauwerk verbunden ist.
Als 2019 die Kathedrale niederbrannte, beschloss Walburga Hülk, Professorin für Romanische Literaturwissenschaft, dem großen französischen Schriftsteller ein literarisches Denkmal zu setzen. In Deutschland ist Hugo weitaus weniger bekannt als in seinem Heimatland, jedoch ist es erstaunlich, dass es die erste große Biografie über ihn ist.
Rezension
Ich arbeite in einer kleinen, unabhängigen Buchhandlung und wir bieten unseren Kundinnen und Kunden gerne abwechslungsreiche Veranstaltungen an. Als wir gemeinsam überlegten, zur Verleihung des Deutschen Sachbuchpreises alle Titel vorzustellen – jeder 2 – wusste ich sofort, dass ich „Victor Hugo“ lesen wollte. Seit ich vor einigen Jahren „Der Glöckner von Notre Dame“ gelesen habe, geht mir die Genauigkeit und Detailliertheit seiner Beschreibungen nicht mehr aus dem Kopf, wer es ebenfalls gelesen hat, wird verstehen, was ich meine. Viele, viele Seiten wird über die Architektur der Kathedrale geschrieben, als hätte der Autor jeden Stein, jeden Bogen persönlich gekannt. Ich fragte mich damals, welcher berufliche Hintergrund hinter diesem Werk stand, habe das aber nicht weiter recherchiert. Als nun diese Biografie erschien, auch noch in einem unabhängigen Verlag, war ich sofort Feuer und Flamme.
Nun mag man vor den 500 Seiten zurückschrecken, andererseits sich auch fragen, was man über einen Menschen, so berühmt er auch sei, 500 eng beschriebene Seiten zu erzählen hat. Es ist so, dass Hugo, sowie seine Angehörigen, Vertrauten und Freunde allesamt freudige Tagebuch- und Briefeschreiber waren und ein unglaublich großer Teil persönlicher Schriften gesammelt und erhalten geblieben ist. Unzählige Werke, Theaterstücke, Gedichte und andere Texte wurden dem Französischen Staat vermacht, so kommen dann auch die 52 Seiten Quellenangaben zusammen, denn alles ist belegt und lässt sich zurückverfolgen. Walburga Hülk hat in unglaublich akribischer Arbeit alles zusammengetragen und nicht nur alles katalogisiert und literarisiert, sondern ein sensationelles, unterhaltsames Buch daraus gemacht.
Es gibt Figuren, die muss man sich nicht ausdenken, es gibt sie schon, in diesem Fall – gab. Die Hugos, die sich selbst die „romanhafteste Familie Frankreichs“ nannten, mit all den Dramen, Tragödien und Affären, bieten alles, was ein spannendes Familienepos braucht. Und so liest sich die Biografie auch, wie ein Roman, weil alles so mit Leben gefüllt wird durch Zitate und Insiderwissen.
Victor Hugo hat fast das gesamte 19. Jahrhundert erlebt und so ist diese Biografie auch ein anschauliches Buch zur französischen Geschichte geworden. Napoleon und die Französische Revolution habe ich in meiner Schulzeit… sagen wir mal verpasst?! Na gut, ich habe mich nicht dafür interessiert. Nachdem ich nun Walburga Hülks Aufbereitung dieser Zeitspanne gelesen habe, die natürlich geknüpft an hauptsächlich eine Person viel plastischer und erlebbarer dargestellt werden konnte, bin ich zu der Erkenntnis gelangt: es muss an meinem Lehrer gelegen haben! Es ist so viel einfacher, Geschichte zu begreifen, wenn es beispielhaft ist. Victor Hugo war Zeit seines Lebens ein politischer Mensch, er war aktiver Menschenrechtler, Demokrat, kämpfte für Gleichberechtigung und Meinungsfreiheit, vor allem in der Kunst und Kultur. Dass seine Einstellung zu manchen Themen nicht in Stein gemeißelt war, ist mir sehr in Erinnerung geblieben, denn die Biografie erzählt von einem nachdenklichen Mann, der durchaus Entwicklungen durchmachte, der seine politische Einstellung hinterfragte und an die Geschehnisse in seinem Heimatland anpasste, der auch aus dem Exil noch großen Einfluss ausübte.
Besonders hervorheben möchte ich die Sprache, die Walburga Hülk verwendet, denn die ist mir ganz besonders aufgefallen. Von einer historischen Biografie habe ich vielleicht etwas anderes erwartet, ich lese nicht oft Biografien und habe schon sehr gute gelesen, aber die Sprache ist doch, man muss es sagen, wie es ist – trocken. Der Zeit womöglich angepasst, in die wir uns hineinversetzen sollen. Und so war es absolut erfrischend, wie zeitgemäß die Autorin erzählt und oft mit einem Wort auf den Punkt kommt. Eine absolut charmante Sprache mit einigen Anglizismen, die heute zur Umgangssprache gehören, wie „Marketingprofi“, „Flirt“ oder „Backup“, die man damals nie verwendet hätte und die aber einfach so treffend sind. Mithilfe einer aktuellen und dennoch hochwertigen Sprache hat es Walburga Hülk geschafft, 200 Jahre zu überbrücken und beides zu vereinen, damals und heute. In meinen Augen war das Buch der Favorit der diesjährigen Verleihung des Deutschen Sachbuchpreises. Eine Biografie über Victor Hugo war längst überfällig und sie ist nun umso großartiger geworden.
Zum Inhalt möchte ich nichts weiter sagen, lest dieses Buch unbedingt selbst. Alle Fragen, die ich mir gestellt habe, sind umfassend beantwortet worden, Wen die vielen Seiten abschrecken, wer Sorge hat, dass die Biografie einer historischen Persönlichkeit trocken oder antiquiert sein könnte, den kann ich beruhigen. Die Autorin hat es geschafft, einen gut lesbaren und interessanten Gesamtüberblick über Victor Hugos Leben, sein Schaffen und sein Engagement zu verfassen. Wir lernen viel über die Historie, inklusive Kunst- und Kulturgeschichte Frankreichs und Europas aber wir lernen auch einen Mann kennen, der gelebt, geliebt und gelitten hat, ganz nahbar und uns so vertraut wird, als hätte er uns alles selbst erzählt.


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