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  • AutorenbildJulia Moldenhauer

Ruhig - Beklemmend - Gegenwärtig


 

Zum Titel

 

Der Roman „Die lichten Sommer“ von Simone Kucher wurde im Februar 2024 im Kjona Verlag veröffentlicht. Das Buch ist ein Hardcover ohne Schutzumschlag und umfasst 238 Seiten.

 

 

Zum Inhalt

 

In zwei Zeitebenen erzählt uns Simone Kucher von einer Familie, die das von ihnen erlebte Trauma von einer Generation an die nächste weitergibt. Es ist ihre.

Zunächst lernen wir Liz kennen, eine junge Frau, die Ende der 60er Jahre in einer Batteriefabrik arbeitet und nach Unabhängigkeit strebt, nachdem ihr eine Ausbildung angeboten wurde. Sie musste lange Zeit ertragen, eine „von denen“ zu sein, aufgewachsen in den Baracken am Rande des Dorfes, nachdem die Eltern aus Tschechien nach Deutschland kamen.

Im Rückblick erfahren wir, was sich in einem Sommer kurz vor Kriegsende in Tschechien zugetragen hat, als Liz´ Mutter Nevenka noch ein Kind war und eine beste Freundin fand, Zena, das Mädchen, dessen Vater von den Nazis verhaftet wurde.

 

 

Rezension

 

Die Geschichte der Vertreibung Deutscher aus Mähren lässt sich auf Wikipedia nachlesen. Orte wie das im Roman beschriebene Želetice, aber auch Lidice stehen stellvertretend für so viele andere. Die Familiengeschichte, die Simone Kucher uns erzählt, ist die ihrer Großmutter. Es ist eine, die viele Familien in Deutschland teilen, sie kamen aus vielen Osteuropäischen Gebieten, in denen Deutsche plötzlich nicht mehr erwünscht waren, denen ihr Besitz und Bleiberecht aberkannt wurde. Doch in Deutschland waren sie vieles, jedoch keine Deutschen.

In leisen, sanften Tönen erzählt die Autorin von einem vererbten Trauma, von Erlebtem, über das nicht gesprochen wird, von Trauer und Verlust. So, wie es zwischen Liz und ihrer Mutter Nevenka viel Unausgesprochenes gibt, setzt es sich im Buch fort, auch hier bleibt vieles ungesagt. Man muss daher keine expliziten Schilderungen ertragen, „zart und sinnlich“ wie es der Teaser auf dem Cover bezeichnet, würde ich es trotzdem nun wirklich nicht nennen, denn die von Simone Kucher überwältigend übermittelten Gefühle der Resignation, der Ohnmacht und der Haltlosigkeit überlagern das gesamte Buch.

Es wirft zudem auch ein Blick darauf, wie fern und unwirklich Krieg, Flucht, Verfolgung und Vertreibung für Kinder ist. Wie sie aus ihrem Leben gerissen werden und in ihrem Kindsein doch eigentlich eine ganz andere Welt erwarten. Diese Diskrepanz ist erschütternd und spitzt sich in „Die lichten Sommer“ immer mehr zu, unausweichlich. Auch die mangelnde Unterscheidung zwischen Geflüchteten und Vertriebenen ist ein aktuelles Thema und das Aufdrücken eines Stempels für Jahrzehnte und über Generationen hinweg.

Es ist ein wichtiges, ein wirklich gutes Buch. Eines, das viele betroffen hat und noch betrifft, eine Vergangenheit, die zwischen Familienmitgliedern steht wie eine Wand. Ich muss sagen, dass ich mit der eher poetischen und sanften Form meine Schwierigkeiten hatte, da schon die bruchstückhafte Erzählweise, ähnlich lückenhaften Erinnerungen und die fehlende Chronologie es mir teils schwer machte, mich zurechtzufinden. Eine übersichtlichere Stuktur und deutliche Orientierungspunkte hätten es mir erleichtert. Ich konnte zu den Figuren keine wirkliche Bindung aufbauen, aber womöglich muss das auch nicht sein. Es ist nicht meine Großmutter, von der erzählt wurde. Die kam nach Kriegsende aus Schlesien nach Deutschland, ganz allein. Nach diesem Buch hätte ich sie gern gefragt, wie es für sie war, doch auch bei uns in der Familie wurde über diese Zeit nicht gesprochen.

„Die lichten Sommer" macht nachdenklich, welche Verletzungen einzelne Menschen, aber auch ganze Familien mit sich tragen, unsichtbar, unerzählt.

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