Zum Titel
Die Graphic Novel „Die Lesereise“, gezeichnet und geschrieben von Andi Watson, wurde 2019 erstmals unter dem Titel “The Book Tour“ veröffentlicht. Die deutsche Ausgabe erschien 2022 im Schaltzeit Verlag. Das Buch umfasst 269 Seiten und wurde von Ruth Keen aus dem Englischen übersetzt.
Zum Inhalt
Der Schriftsteller G. H. Fretwell begibt sich zu Werbezwecken mit seinem neuen Roman mit dem Titel „Ohne K“ auf Lesereise. Doch von Beginn an läuft nichts wie geplant, sein Koffer mit den Leseexemplaren verschwindet, man erwartet ihn nicht, seine Agentur ist nicht erreichbar, es kommt niemand zu den Lesungen. Überall war kurz zuvor bereits ein anderer Autor, der großen Erfolg mit seinem Werk zu haben scheint… Ohne es mit ihm abzusprechen wird die Lesereise immer weiter verlängert, seine Frau ist am Telefon immer kürzer angebunden. Als plötzlich Buchhändlerinnen, zu denen er Kontakt hatte, eine nach der anderen verschwinden - und mausetot wieder auftauchen - bekommt er es auch noch mit der Polizei zu tun.
Rezension
Der arme Kerl. Begibt sich auf eine Lesereise und niemand kümmert sich um ihn, kaum einer kennt sein neues Buch, in dem es um einen Handelsvertreter für Lexika geht. Die Kurzbeschreibung und der Titel „Ohne K“ hören sich jetzt auch nicht so spektakulär an. Ganz anders „Sierra Umbra“ von F. P. Guise, für den geworben und der in der Literaturbeilage wohlwollend erwähnt wird.
Als wenig selbstbewusst lernen wir Fretwell kennen und aufgrund der Umstände wird er zunehmend unsicherer und ratloser. Doch es gelingt ihm nicht, auszubrechen, die Lesereise abzubrechen, eins führt zum anderen. Immer albtraumhafter und beklemmender, aber auch absurder geht es zu.
Ich hatte große Freude an den simplen schwarz/weiß-Zeichnungen, die mithilfe des auf ein Minimum reduzierten Textes schnell einen Lesesog erzeugten. Die Wirkung, die der Cartoonist Andi Watson durch die unaufgeregte Handlung erzeugt, hat mich an andere Novellen erinnert, nicht zuletzt „Bartleby, der Schreiber“, wobei man hier ganz bei dem armen Autor Fretwell ist, der - zur Passivität verdammt - offensichtlich anderen Umgang mit seiner Person gewohnt ist. Die Hauptfigur, wie auch wir Lesenden, sind hin und her gerissen zwischen Unglauben und weitermachen. Es wird sich schon alles aufklären, denkt Fretwell, denke ich.
Andi Watson hat auf surreale Art Ängste von Schreibenden in einer gezeichneten Novelle verarbeitet und lässt sein Werk dadurch nicht klar einem Genre zuordnen. Teils ist es als Kriminalgeschichte zu lesen, teils als Komödie oder Persiflage auf den Literaturbetrieb oder schlicht als Drama.
Es ist ein Buch, das man – auch, weil es so hochwertig und in einem angenehm handhabbaren Format daherkommt – mehr als ein- oder zweimal lesen kann (und muss?). Ich zumindest bin noch nicht vollständig hinter die Lösung des Falls um die ermordeten Frauen gekommen, überhaupt ist einiges verworren und unklar, auf eine positive, sehr rätselhafte und interessante Art.
Wer bisher wenig bis keinen Kontakt zur Literaturform der Graphic Novel hatte, dem sei „Die Lesereise“ wärmstens ans Herz gelegt. Die kurzweilige Handlung, der überschaubare Text und die reduzierten Zeichnungen gehen sicher auch deshalb miteinander einher, da alles aus einer Feder stammt und nicht Text und Bild aufeinander angepasst werden mussten. Somit überfordert es den ungeübten Comicleser nicht und ist ein bemerkenswertes kleines Schmuckstück für Leserinnen und Leser aller Genres.
Zum Verlag
Der Schaltzeit Verlag wurde 2009 in Berlin gegründet und widmete sich von Beginn an im Wesentlichen der Veröffentlichung von Karikaturen, vor allem der politischen Art. Um Publikationen aus Zeitschriften und Magazinen langfristig zu erhalten, werden sie in Sammlungen und Katalogen zusammengefasst.
Zum Verlagsprogramm gehören ebenso Kinderbücher und Graphic Novels. Gedruckt wird nachhaltig und regional, was ich unbedingt erwähnenswert finde.
Der Schaltzeitverlag ist eng vernetzt mit anderen unabhängigen Kleinverlagen, zum Beispiel unter der Kinderbuch-Kooperation „Spreeverlage“.
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